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Der Stand der Dinge

Die rechtliche und organisatorische Ausgestaltung des beruflichen Schulwesens in Deutschland fällt in die Kompetenz der einzelnen Bundesländer ("Kulturhoheit"). In Folge dessen weist das Berufsbildungswesen "eine Vielzahl von Schularten und Bildungsgängen auf, die auf die unterschiedlichen bildungspolitischen Zielsetzungen und berufspädagogischen Vorstellungen in den Ländern zurückgehen."45 Im Wesentlichen lassen sich die Berufsschulen jedoch in zwei Typen unterscheiden: Das eine sind die Teilzeitschulen, welche, im Rahmen der dreijährigen Berufsschulpflicht (bis zum 18.Lebensjahr bzw. bis zur Beendigung der Lehre herrscht in Deutschland Schulpflicht) die betriebliche Ausbildung (Lehre) flankieren. Diese Variante ist als duales Ausbildungssystem bekannt. Die zweite Variante ist die Vollzeitschule, in welcher "bei freiwilligem Besuch eine berufliche Aus- oder Fortbildung oder eine höherwertige Abschlußqualifikation vermittelt wird"46
Derzeit gewinnt die schulische, theoretische Ausbildung immer stärker an Bedeutung. Wie die folgende Abbildung zeigt, nimmt der Anteil der weiterführenden Abschlüsse (Realschulabschluß und Hochschulreife) bei den jüngeren Kohorten gegenüber den älteren zu. Der gezeigte Trend zu höherwertigen Abschlüssen, als Ergebnis einer zunehmend länger andauernden Ausbildung im allgemeinbildenden Bereich ist eine Beobachtung, welche die Eingangsthese stützt. Die zweite Beobachtung ist die schrumpfende Halbwertszeit des Spezialwissens, welche sich in der steten Neugestaltung von Ausbildungsordnungen und Anerkennung von neuen Ausbildungsberufen widerspiegelt.

Figure 1:
Das der Trend in Richtung höherwertiger Abschlüsse geht, zeigt sich zum einen bei den Schulabschlüssen. In den jüngeren Kohorten hat sich der Anteil der Realschulabschlüsse, wie auch der von Fachhoch- und Hochschulreife (im Chart unter Hoch-Schulreife summiert) zu Lasten des Hauptschulabschlusses stark erweitert, die Stetigkeit der Entwicklung läßt ihr Andauern vermuten. (Es sei denn, die Anforderungen würden verschärft) Die auffällige Sonderbewegung der 15-25 jährigen Kohorte rührt nicht von einem zunehmenden Schulversagen her, sondern liegt in der zunehmenden Länge der Ausbildung begründet. (Der Hauptschulabschluß wird mit ca 15 Jahren abgelegt, das Abitur frühestens mit 19 Jahren !) Der im schulischen aufgezeigte Trend zeigt sich ebenfalls im beruflichen Bereich.
Figure 2:
Als weiteres Indiz für eine zunehmende Bedeutung höherwertiger Bildungszertifikate weist der Trend in Richtung einer zunehmenden Bedeutung von (Berufs-) schulischen Abschlüssen. Allerdings ist ein Anteil von über zwanzig Prozent ohne berufsbildenden Abschluß (vgl Abb. 2) in allen Altersgruppen (wobei die jünger als 25 jährigen aus oben erwähnten Gründen aus der Betrachtung ausgeklammert werden sollten) bemerkenswert.Das höhere Angebot an höherwertigen Abschlüssen führte bislang nur zu unerheblich höheren Anteilen dieser Kohorten in der Erwerbslosenstatistik, was zu erwarten stünde, wenn die Höherqualifikation
Figure 3:
nicht den Markterfordernissen entspräche. Möglich ist allerdings, daß sich nicht-adäquate Arbeitsverhältnisse hinter diesen Zahlen verbergen. So behauptet zum Beispiel Pierre Bourdieu von der jungen Generation: "Die strukturelle Dequalifizierung, von der alle Angehörigen der Generation getroffen werden und in deren Folge sich alle mit dem Gedanken vertraut machen müssen, für ihre Bildungstitel weniger zu erhalten als ihre Vorgänger-Generation, ist Grund jener kollektiven Desillusion, durch die diese geprellte und frustrierte Generation dazu gebracht wird, ihre mit Ressentiment geladene und vom Schulsystem genährte Revolte auf alle Institutionen auszudehnen." 47 Die These einer strukturellen Dequalifizierung, im Sinne einer Entwertung des sozialen Ansehens welches Bildungstitel vermitteln, verbunden mit einer gewissen Desillusionierung der Bildungsaspiranten, ist wohlbegründet. Das diese, durch ihre Inflationierung bedingte, soziale Entwertung von Bildungstiteln jedoch negativen Einfluß auf die objektiven Berufschancen hat, für diese These liefern die Daten des Statistischen Bundesamts in Deutschland nur einen schwachen Hinweis: "1989 lagen für 1204000 oder rund 78% aller Auszubildenden Angaben über ihre schulische Vorbildung vor. Sie lassen erkennen, daß der anhaltende Trend zu höheren Bildungsabschlüssen bei den Schulabgängern auch das Qualifikationsniveau der Auszubildenden beeinflußt ... die Haupt und Realschulabgänger wurden im kaufmännischen Bereich am deutlichsten von Abiturienten verdrängt..."48 Diese Entwicklung muß aber keine Abwertung der Bildungstitel widerspiegeln, sondern kann auch darauf zurückgeführt werden, daß das Ansehen von, und die Anforderungen an Mitarbeiter im kaufmännischen Bereich gestiegen sind.
Jedoch liegt das Problem der Bewertung der Adäquanz von Arbeitsverhältnissen zu den getätigten Bildungsinvestitionen, nicht allein in der unzulänglichen Datenbasis begründet. Ebenso problematisch ist die Definition eines Bewertungsschemas, anhand dessen die Adäquanz geprüft werden könnte.49




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Matthias Steppuhn 2003-07-05