Die Vorstellungen der Minderheitsexperten oder der politischen Linken, differiert schon in der
Beschreibung der Zukunftsherausforderungen. Da die Ausführungen nicht in dem Maße allgemein, wie die der bürgerlichen Kommissionsmitglieder, ausfielen, sondern im Gegenteil und
dankenswerterweise konkret politische Ziele beim Namen nannten, konnte und wollte ich mich
gelegentlicher Stellungnahmen nicht enthalten, wiewohl mir die Gefahr der Vermengung von
persönlicher politischer Wertung mit wissenschaftlicher Erkenntnis bewußt ist.
Die Kernaussage der linken Argumentation ist, daß Bildung mehr als nur die ökonomische
Entwicklung berücksichtigen muß. Bildung soll vielmehr eine Reihe von Werten und Einstellungen vermitteln. Die Parallele zu der liberal/konservativen Position ist insofern gegeben. Bildung
soll in der Auffassung beider Fraktionen Bereitschaft und Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln vermitteln. Allerdings werden hier die Werte anders spezifiziert, hier bezieht sich die
Verantwortung nicht global auf alles persönliche Handeln, sondern speziell auf das Verhindern
der "Auslöschung der Welt durch falsch verstandenen Fortschritt".21
Als weitere normative Ausrichtung der Bildung, werden ökologische Verantwortung, eine interkulturelle Gesellschaft22, Solidarität aller Menschen, eine durch die Größe der weltweiten
Verantwortung bedingte Verpflichtung zu Frieden und internationaler Zusammenarbeit und
nicht zuletzt die Gleichheit der Geschlechter, als Bildungsinhalte gefordert.
Die Notwendigkeit dieser normativen Ausrichtung von Bildungsinhalten wird historisierend
hergeleitet: "Schon Ende des 19.Jahrhunderts standen Allgemeinbildung und Berufsbildung im
Dienst der herrschenden (männlichen) Schichten. Bildung war in Dienst genommen, war
mißbraucht zur Sicherung ständischer Machtinteressen.
Am Ende dieses langen Weges-nach Langemarck und Stalingrad, vor allem aber nach Auschwitz-verfügt das Bürgertum, das zum Träger der herrschenden Bildungsidee geworden war,
politisch nicht mehr über die Macht und moralisch nicht mehr über die Autorität, sein Bildungskonzept durchzusetzen".23 Diese rhetorisch hervorragend umgesetzte Polemik, die die
historischen Realitäten nur unerheblich tangiert 24, weist den Bezug von Bildung zu politischen
Perspektiven, welche durch vermittelte Werte geöffnet werden sollen. Die Notwendigkeit der
Vermittlung von bestimmten Werten, liegt also in der gewollten Gestaltung der politischen
Zukunft ! Diese Zukunft soll bestimmten Forderungen entsprechen. Zum einen soll als konkret-politische Forderung, das als Menschenrecht bezeichnete25 Recht auf Bildung in eine neue
deutsche Verfassung aufgenommen werden. Das Primat aller bildungspolitischen Aktivitäten hat
die Gleichheit. Hierzu sollen alle Kinder gemeinsam erzogen werden, ohne Ansehen von sozialer oder ethnischer Herkunft oder des Geschlechts. Diese gemeinsame Erziehung soll durch
ganztägige Betreuung an den Schulen und Erziehung zur Solidarität die Gleichheit des realen
seins erreichen. "Wenn der Aufstieg durch Bildung nicht Millionen von Kellerkindern der
Bildungsexpansion ... zurücklassen soll, muß in der schulischen und der beruflichen Ausbildung sichergestellt werden, daß die weniger Erfolgreichen nicht aufgeben und abgeschrieben
werden." Um dies zu erreichen, müssen "große Anstrengungen den oft nur langsamer lernenden gelten"26 In diesem Sinne wird gefordert, "daß die aus der Elternnachfrage erwachsende
und ökonomisch sinnvolle Tendenz zu einem mindestens mittleren Bildungsabschluß institutionell und curricular als Normalfall begriffen werden muß"27 Die Auswirkungen, welche
die faktische Eliminierung des unteren Bildungsabschlusses auf die allgemeine Einschätzung
des Mittleren Abschlusses haben muß, wird nicht thematisiert.
In einem Atemzug mit den Lernschwachen, werden die Frauen als förderungsbedürftige Randgruppe thematisiert: "so könnte es zum Ende dieses Jahrhunderts endlich erreicht werden, den
Frauen neben der Zugangsgleichheit qualitative und quantitative Ergebnisgleichheit zu sichern"28Leider wird nicht weiter erläutert, wie institutionell oder politisch eine solche Ergebnisgleichheit erzielt werden soll, noch werden die Folgen eines solchen Eingriffs thematisiert. Dafür
wird auf das Ziel verwiesen "die Ausnutzung des einen durch das andere Geschlecht zu beenden"29 Das dieses Ziel sowohl am bierseligen Stammtisch als auch in frauenbewegten Kreisen
heftigste Zustimmung ernten dürfte, ist eine nicht von der Hand zu weisende Vermutung. Leider
kommt diese Formulierung des Ziels, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, einer
differenzierten Betrachtung des Themas nicht unbedingt entgegen, zumal man aus der Funktion
(oder auch Dysfunktion) bestimmter Strukturen, nicht unbedingt den Zweck oder das Ziel dieser
Strukturen ableiten kann. (So ist die Funktion der Frau in der Rolle der Mutter, nicht in
männlichen Herrschaftsinteressen begründet, sondern mit einer recht hohen Gewißheit, in
biologischen Vorgaben.)
Entsprechend zu dem bürgerlichen Gutachten, wird auch von der Linken eine aktuelle Variante
der Begründung staatlicher Intervention im Bildungswesen angeführt. Die Schlagworte reichen
von EG-Binnenmarkt, der unter der Perspektive der drohenden Ökonomisierung der Bildung
angesprochen wird, bis zur Nord-Süd Problematik.
Da diese zum großen Teil mehr der allgemein-politischen Selbstdarstellung (Ende des kalten
Krieges in Verbindung mit der Ausbeutung der dritten Welt soll Transferleistungen in die dritte
Welt ermöglichen 30) dienen, sollen sie hier nur als Schlagworte angeführt werden.
Zitieren möchte abschließend den Fauxpas, welcher die geforderte (ständige) Bildungskommission, in Anspielung auf die Leipziger Montagsdemonstrationen 1989/90, beinahe der tagespolitischen Aktualität opfert: "Es ist das Volk,das seine Bildungspolitik formuliert und durchsetzt.
Der Staat muß dafür den Rahmen schaffen und erhalten - mehr nicht."31 Wenn der Schreiber
solcher Zeile den Inhalt derselben ernst nähme, dürfte er nicht in einer staatlichen Bildungsplanungskommission mitwirken, diese wäre nämlich überflüssig.