Der Verlauf dieser Abhandlung hat deutlich die technische Entwicklung als einen, wenn nicht
den wichtigsten Motivationsmoment für die Bildungsdiskussion aufgezeigt. Um so erstaunlicher
ist es, daß die Folgen von Technologieeinsatz im Bildungssektor nur peripher tangiert werden.
So wird in dem Gutachten der Bundestags-Kommission Bildung 2000
die Rolle der neuen
Medien als Bildungsgegenstand und Unterrichtsmittel die Aussage getroffen "Die Frage des
Einsatzes neuer Medien und IuK-Techniken im Bildungswesen im Sinne moderner Lern- und
Bildungstechnologien stellt sich nicht primär für die Schule und auch nicht für die berufliche
Ausbildung - übrigens auch nicht mit besonderer Dringlichkeit für die Hochschulen-, sondern
in erster Linie für die (berufliche) Weiterbildung."182 Diese Einschätzung dürfte eine hoffnungslose Unterschätzung des Rationalisierungs-Potentials der IuK Systeme darstellen. Schon heute
lernen
Schulkinder in der virtuellen Wirklichkeit ihres Home-Computers realitätsnah Fliegen
und Autofahren. Die Vokabeln werden mit
Teachware
gepaukt, die Mathematikaufgaben
verblassen hinter der Herausforderung den Bildschirm mittels komplexer Algorithmen
Apfelmännchen
malen zu lassen. Zugegeben, dies betrifft noch nicht die Mehrzahl der Sextaner,
aber die Entwicklung steht am Anfang. Kein Lehrer bringt die Geduld einer Maschine auf, im
steten gleichmütigen Wiederholen ein und der selben Erläuterung. Das Computer-Aided-Training, eine rechnergestützte Multimedia Ausführung der weitestgehend ausgereiften Teachware, läßt sich interessanter und didaktisch ausgefeilter produzieren, und in Folge unbegrenzt
abrufen, als dies ein noch so brillianter Lehrer
live
zustande brächte. Doch schon sind diese
zweidimensionalen, geräuschuntermalten Simulationen einer Lehrsituation überholt. Aktueller
Stand ist der Cyber-Space, die virtuelle Wirklichkeit erhält ihre dritte Dimension. In der
unwirklichen Wirklichkeit des Cyber-Space ist die Möglichkeit des Menschen zur Interaktion
mit der simulierten Realität nicht mehr auf Tastatur, Maus oder Stimme begrenzt. - Mittels
Sensoren lassen sich die eigenen Bewegungen in den virtuellen Raum übertragen. - Es wird eine
Kunstwelt produziert, in welcher der
Schüler
die Konsequenzen von Fehlverhalten
erleben
kann, ohne selbst Schaden zu nehmen ( z.B. Flugsimulatoren ). Doch die rasant steigende
Qualität der Simulation, die technische Perfektionierung des Instrumentariums zur Wissens- und
Erfahrungsvermittlung (und genau dies ist Aus- und Fortbildung) ist nur die eine Seite der
Medaille. Der mit der rasanten technischen Entwicklung einhergehende Preisverfall der Hard-und Software, verbunden mit den die Phantasie überfordernden Möglichkeiten des Einsatzes
der Instrumente, wird über kurz oder lang die Frage nach der Aufgabe und Stellung der
Pädagogen aufwerfen. Es steht zu erwarten, daß sich innerhalb der nächsten zehn Jahre das
Erscheinungsbild des Lehrers dramatisch verändern wird. (in welche Richtung es sich verändern
wird, wäre ein ebenso gefährliches wie reizvolles Thema einer separaten Abhandlung) "Software
gibt es für Mathematik-, Sprach- und Grammatikübungen. So können pro Stunde nun 30
Schüler das Bruchrechnen trainieren, während es früher - allein mit dem Lehrer - allenfalls
fünf waren."183 Neben dem intensiveren Lerneffekt, hat diese Entwicklung selbstverständlich
Auswirkungen auf die Gestaltung, den Inhalt, und die Anzahl der Lehrkräfte am, Arbeitsplatz
Bildung. Auf dem Nebenschauplatz der
industrial relation
bahnt sich ein Spannungsfeld an,
wie es die industriellen Beziehungen kennzeichnet. Das Subjekt wird zum Objekt, die relativ
stabilen und sicheren Zeiten für den Lehrkörper neigen sich dem Ende zu, das Bildungswesen
wird als eine der letzten Sparten der westlichen Arbeitswelt industrialisiert. Ob diese Prognose
zu weit greift, sollen andere Abhandlungen oder die Zukunft zeigen.